Seit Emmas 30. Lebensjahr ist sie mit Emilia befreundet. Die 9 Jahre Altersunterschied waren nie ein Problem. Vieles haben sie zusammen erlebt und überstanden. Ihre Hochzeiten, ihre Scheidungen … Dass sie Nachbarn wurden war kein Zufall.
Vor 3 Jahren war Emma gesundheitlich so eingeschränkt, dass die damals 72 jährige Emilia sie liebevoll pflegte und sogar Pflegegeld von der Pflegekasse bewilligt wurde.
Gerade sitzen beide bei Sonnenschein – wie so oft – in Emmas prächtigen Garten und genießen Kaffee und selbst gebackenen Kuchen. Nicht nur weil der Kuchen wieder mal köstlich schmeckt, grinsen sie die Welt und sich an.
Vor ca. 2 Jahren schauten sie sich das Pflegegutachten und die Bewilligung des Pflegegeldes abermals ganz genau an. Beidem konnten sie keinerlei Anzeichen entnehmen, die auf eine befristete Leistung hindeuteten.
Mittlerweile können sie über Formulierungen im Gutachten wie „Aufstehen nur mit diversen schaukelnden Anlaufversuchen“, „rezidivierende Entgleisungen“, „blasses Hautkolorit“, „sie versucht, ferne Körperteile mit Bürsten zu erreichen“ und „Sie ist verwirrt und verkennt die Situation – denkt, der Gutachter würde bei ihr einziehen wollen“ sogar schmunzeln. Eine Besserung war für Emma laut Gutachten nicht zu erwarten.
Seit knapp 2 Jahren hat das Leben dem Gutachter das Gegenteil bewiesen. Das behielten sie für sich. Sie fragen sich hin und wieder nur, warum sie sich damals von dem Gutachter so haben deprimieren lassen. Hatten doch beide schlechte Erfahrungen mit Diagnosestellungen von Ärzten und ähnlichen Fachidioten im medizinischen Bereich ! Dass sich diesmal ein Gutachter vertan hat war jedoch das erste Mal mit einer positiven Folge.
Für die halbjährlichen Pfegenachweise stellten und stellen beide mit Vergnügen ihr schauspielerisches Können unter Beweis. Zudem schauen sie sich am Abend vor diesem Termin Filme an, bei denen durchaus Tränen kullern, so dass sie am Folgetag entsprechend mitgenommen aussehen. Und sollte doch mal eine Nachuntersuchung seitens der Pflegekasse durchgeführt werden, wird Emma auch ihre Redegewandtheit unter Beweis stellen und so jede Beantwortung von Fragen vermeiden können.
Ihr Leben lehrte sie, dass Ehrlichkeit nicht immer Vorzüge bereithält. Solange sie niemandem persönlich schaden leben sie nach dieser Erkenntnis. Sie leben einfach im Jetzt und lassen es sich gut gehen. Öfters nehmen sie an Ausflügen für ältere Herrschaften teil – dank des Pflegegeldes können sie sich diese leisten.